Vom 18.-20. Mai fand in Bochum die
Jahresversammlung der deutschen Sektion von Amnesty International statt. Am
Abend des 18. Mai wurden in einer Festveranstaltung der Marler Medienpreis für
Menschenrechte vergeben. Auf dieser Veranstaltung – im Zusammenhang mit der
Verleihung des Ehrenpreises an den langjährigen ZDF-Korrespondenten in Moskau Dirk
Sager – kam Arsenij Roginskij zu Wort.
Liebe Kollegen, liebe
Freunde,
für mich ist die
Teilnahme an Eurer Mitgliederversammlung keine protokollarische Pflichtübung. Es ist die Erstattung
einer sehr alten emotionalen Schuld. Ende der 60er Jahre – ich war damals noch
ganz jung – hörte ich zum ersten Mal das Wort „Amnesty International“. Wir
wussten wenig davon. Aber wir wussten, dass das ein Verein von Menschen in der
ganzen Welt ist, die für die Freiheit von Menschen kämpfen, die aus politischen
Gründen inhaftiert sind. Das war etwas, was mir sehr nahe war. Es waren die
ersten Jahre der Menschenrechtsbewegung in der Sowjetunion.
Diese Bewegung hat
einige wichtige Prinzipien, die sich auch in den heutigen Menschenrechts-NGOs erhalten
haben. Das erste Prinzip war Offenheit, Legalität – wir wollten auf keinen Fall
im Untergrund wirken. Die Menschen sollten unter ihrem eigenen Namen agieren.
Das zweite war die Sprache des Rechts. Die Dissidentenbewegung kommunizierte in
dieser Sprache ebenso untereinander wie mit den Machthabern. Das dritte,
wesentliche Prinzip war die Gewaltlosigkeit. Die blutige Erfahrung des 20.
Jahrhunderts, Kriege, Massenterror – dies alles verlangte von uns, jeglicher
Gewalt zur Lösung politischer Probleme eine Absage zu erteilen. Wichtig war
außerdem die Symbolkraft in den Handlungen der Dissidenten. Welche Waffen
standen uns zur Verfügung? Eben die, offen zu sagen, was wir dachten. Wenn wir uns mit Briefen und Appellen an die
Regierung wandten – hofften wir denn wirklich darauf, Gehör zu
finden? Glaubten wir, dass nach unseren Briefen Menschen freigelassen würden? Natürlich
nicht. Als Menschen nach dem Einrücken der Panzer in Prag zur Demonstration
gingen – rechneten wir etwa damit, dass die Panzer abgezogen würden? Natürlich
nicht. All diese Prinzipien – Recht, Offenheit, Gewaltlosigkeit –
verbinden uns mit Amnesty. Bei Amnesty ist dies alles aber offenbar schriftlich
festgelegt, die russische Menschenrechtsbewegung dagegen hatte keinerlei
Satzungen. Hier war nichts schriftlich fixiert, aber jeder Einzelne hatte das
verinnerlicht.