Mittwoch, 13. Juni 2012

Gemeinsames Erinnern – Arsenij Roginskij aus Anlass der Auszeichnung von MEMORIAL durch das Institut für Nationales Gedenken (IPN) in Polen


Das polnische Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej) hat die Internationale Gesellschaft MEMORIAL 2012 mit dem Preis für die Bewahrung des nationalen Gedächtnisses ausgezeichnet, einem Preis, der jährlich Organisationen und Personen verliehen wird, die sich für die Erinnerung an die Geschichte Polens von 1939-1989 einsetzen.

Arsenij Roginskij bedankte sich im Namen von MEMORIAL für die Auszeichnung:

„Die historische Erinnerung ist die Grundlage jedes nationalen Selbstverständnisses. In Polen ist dies besonders zu spüren.
Für die Gesellschaft MEMORIAL ist das „polnische Thema“ seit etlichen Jahren ein sehr wichtigstes Thema. Sie untersucht die Geschichte der Verfolgungsaktionen gegen Polen und polnische Bürger (so trägt denn auch einer der ersten von MEMORIAL herausgegebenen Sammelbände den Titel: „Verfolgungen von Polen und polnischen Bürgern“). Wir haben Hunderttausende Schicksale von Polen recherchiert, die in Stalins Vernichtungsmaschinerie geraten und von ihr zerstört worden sind. Diese Forschungsergebnisse von MEMORIAL werden zum Teil der polnischen wie der russischen Erinnerung.

Warum aber konzentrieren wir uns in unserer Arbeit so auf das „polnische Thema“? Weil das Bild von Polen, das im russischen nationalen Gedächtnis, im russischen nationalen Bewusstsein entstanden ist, ein besonderes kulturelles Phänomen darstellt, das im gegenwärtigen Russland eine wesentliche Rolle spielt.
Dass das „polnische Thema“ für Russland von besonderer Relevanz ist, hat mehrere Ursachen. Ich will hier nur auf zwei eingehen. Erstens gibt es im sowjetischen kulturellen Bewusstsein der 1950er-70er Jahre einen „polnischen Mythos“. Zweitens sind die mit unserer Geschichte verflochtenen polnischen Sujets zu einem symbolischen Indikator geworden, zu einem spezifischen Lackmustest, der in der leidenschaftlichen öffentlichen Kontroverse um die eigentlich russische und die eigentlich sowjetische Geschichte die Positionen erkennen lässt.

Zum „polnischen Mythos“: Seine historische Komponente geht noch auf Alexander Herzen zurück und ist fest in der russischen kulturellen Tradition verankert. Das ist das tragische und heroische Bild Polens als des ewigen Rebellen und – von Kościuszko bis zur Heimatarmee – des ewigen Opfers des russischen Imperialismus. In diesem Rahmen fügte sich die russische Erinnerung an den sowjetischen Terror gegen die Polen gewöhnlich in die Konzeption einer zweijahrhundertelangen Schuld Russlands gegenüber Polen ebenso ein wie in die Konzeption einer metaphysischen Schuld Russlands gegenüber sich selbst.
In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre trat zu diesem traditionellen „polnischen Mythos“ im russischen Nationalbewusstsein noch eine weitere, kulturelle Komponente hinzu: Die Prosa und Poesie polnischer Literaten der Kriegsgeneration, polnische Filmregisseure, die Bildende Kunst der polnischen Avantgarde, aber auch Arbeiten polnischer Soziologen, die halbfreien Zeitschriften, die in Polen seit Ende der 1950er Jahre erschienen, wurden in Russland mit besonderer Aufmerksamkeit rezipiert. In politischer Hinsicht konstituierte sich das Bild des kämpfenden Polens durch den „polnischen Oktober“ 1956, den „polnischen März“ 1968, die Streiks von 1976, die Tätigkeit des KOS-KOR, die Revolution durch die Solidarność usw. Dieses Bild, das vorwiegend bei der sowjetischen liberalen Intelligenz vorherrschte (aber nicht nur), war nichts anderes als das Echo von etwas, was es bei uns nicht gegeben hatte: all dessen, was in der polnischen Kultur und im polnischen öffentlichen Leben existierte und wozu es nicht in der sowjetischen Kultur und im sowjetischen öffentlichen Leben gekommen war, was es allenfalls in ersten Anfängen gegeben hatte, um dann sofort brutal unterdrückt zu werden.

In den letzten beiden Jahrzehnten allerdings ist dieses „Bild Polens“ in den Hintergrund getreten. Es tauchte ein anderes, konkurrierendes Bild auf. Polen wurde Gegenstand einer heftigen historischen Auseinandersetzung in der postsowjetischen russischen Gesellschaft.
Kernpunkt dieser Diskussionen sind die Ereignisse von 1939-40.
Ungeachtet der gegensätzlichen Bewertungen der historischen Ereignisse werden diese selbst allmählich zum Bestandteil historischer Grundkenntnisse. Es handelt sich um das geheime Zusatzprotokoll zum Molotov-Ribbentrop-Pakt, das Überschreiten der sowjetisch-polnischen Grenze am 17. September 1939 durch die Rote Armee auf dem Höhepunkt des heroischen und aussichtslosen Kampfes der polnischen Armee gegen die Nazis, die Erschießung polnischer Kriegsgefangener in Katyn‘, Kalinin und Char’kov.
Es geht nicht um die Fakten: Nur wenige versuchen heute in Russland, diese Fakten zu bestreiten. Es geht um Interpretationen und Wertungen. Da es ihnen an Argumenten fehlt, gehen russische Großmachtsverfechter und Nationalpatrioten so weit, Katyn‘ als „rechtmäßige Antwort“ auf den Tod sowjetischer Rotarmisten in polnischen Kriegsgefangenenlagern 1920-21 zu erklären, oder sie verweisen auf Kränkungen noch aus dem 17. Jahrhundert.

Zugleich versuchen ihre Opponenten – darunter auch MEMORIAL – gerade bei russisch-polnischen Themen solche Ansätze für die gemeinsame Arbeit an der Vergangenheit zu finden, die uns mit unseren Nachbarn nicht entzweien, sondern zusammenbringen und versöhnen. Nicht nur mit den Polen, sondern auch mit Ukrainern, Litauern, Letten, Esten, Georgiern und allen anderen.
Wir wollen dazu beitragen, dass russische Bürger das gesamte Ausmaß der polnischen Tragödie des 20. Jahrhunderts erkennen und sie als Teil ihrer eigenen Geschichte begreifen.
Diese Arbeit muss sich in erster Linie auf die Erinnerung stützen – auf die konkrete persönliche und Familienerinnerung der Menschen, die im europäischen Norden Russlands, im Ural, Sibirien und Kazachstan leben. Es ist diese Erinnerung, die viele Dutzend Menschen in der Provinz dazu treibt, Überreste polnischer Sondersiedlungen in der Taiga und aufgegebene polnische Friedhöfe aufzuspüren und auf einer Karte zu verzeichnen, Erzählungen lokaler alter Einwohner über die polnische Verbannung zusammenzutragen. Diese Erinnerung lebt auch in den jüngeren Generationen fort: In den Aufsätzen von Oberstufenschülern, die MEMORIAL jährlich beim Gesamtrussischen Wettbewerb „Der Mensch in der Geschichte. Russland im 20. Jahrhundert“ erhält, sind immer mehrere Arbeiten dabei, die das „polnische Milieu“ in den russischen Regionen behandeln. (Am Rande sei vermerkt, dass wir die Idee zu diesem Wettbewerb unseren Kollegen der Warschauer „Karta“ verdanken.)

MEMORIAL will sich nicht vom polonophilen Erbe der sowjetischen Sechziger lossagen. Auch wenn es zum Teil auf einer Mythologisierung beruht, möchten wir uns dennoch nicht völlig von diesem romantischen Bild Polens unserer Jugend trennen. Warum sollten wir das auch tun? Im letzten halben Jahr haben wir gesehen, wie unerwartet und sozusagen aus dem Nichts der Geist der Sechziger auf den Moskauer Straßen und Plätzen wieder ersteht, und das nicht einmal bei den Kindern, sondern den Enkeln und Urenkeln der Sechziger. Der „polnische Mythos“ wird zweifellos in irgendeiner Form wieder im Bewusstsein der neuen Generationen hochkommen.

Jedoch haben wir uns in den zwei Jahrzehnten, in denen wir uns mit der sowjetischen Vergangenheit auseinandergesetzt haben, allmählich von der Sichtweise der Sechziger gelöst, die von einer metaphysischen nationalen Schuld eines Volkes gegenüber einem anderen oder auch eines Volkes sich selbst gegenüber ausging. Wir teilen generell nicht die Vorstellungen einer „Kollektivschuld“ – diese Vorstellungen entsprechen nicht dem modernen Verständnis von Freiheit und Menschenwürde. In unserer Arbeit lassen wir uns nicht vom Gefühl einer Kollektivschuld leiten, sondern vom Bewusstsein der individuellen bürgerlichen Verantwortlichkeit jedes Einzelnen von uns für Ereignisse, die Jahrzehnte zurückliegen, auch für Ereignisse, die nicht uns, sondern unsere Eltern, Großeltern und Vorfahren betrafen, ebenso wie jeder von uns die bürgerliche Verantwortung für das trägt, was heute in unserem Lande geschieht. Übrigens – nicht jeder, sondern nur, wer bereit ist, diese Verantwortung auf sich zu nehmen, für den das „historische Erbe“ kein leeres Wort ist und keine Auflistung großer Siege und Errungenschaften, sondern die nationale Geschichte im Ganzen, mit allen Erfolgen und Katastrophen, sei es Ruhm, sei es Schande.
In der Geschichte kommt es nicht darauf an, die Schuld – ob die eigene oder die der anderen – zu suchen, sondern darauf, die Tragödien der Vergangenheit zu verstehen und die eigene Verantwortung für sie zu begreifen.

Unser Ziel ist, dass möglichst viele unserer Mitbürger unsere Einstellung zur Vergangenheit teilen, ja dass eine solche Einstellung zur eigenen nationalen Geschichte mit der Zeit auch bei unseren Nachbarn entsteht. Vielleicht gibt uns dieser Ansatz die Möglichkeit, eines Tages die gemeinsame Vergangenheit gemeinsam erinnern zu können.“

Quellen und links: 
http://www.memo.ru/d/113699.html, http://hro.org/node/14254, http://www.ipn.gov.pl/portal/en/2/601/quotCustodian_of_National_Memoryquot_Prize_2012.html

Donnerstag, 3. Mai 2012

GULAG. Spuren und Zeugnisse 1929-1956. Eröffnung der Ausstellung in Neuhardenberg



Kein Geringerer als Jorge Semprún war es nach den Worten von Bernd Kauffmann (Schloss Neuhardenberg), der die Zweifel daran zerstreute, ob Deutschland der geeignete Ort für eine dem GULAG gewidmete Ausstellung sein könnte. Ist doch Deutschland als einziges Land, das sowohl die nationalsozialistische als auch die kommunistische Diktatur erfahren hat, dazu in besonderem Maß berufen. Semprún wollte hier weniger von Pflicht sprechen als von einer „Erinnerungsobliegenheit“, wenn dies auch im Deutschen ein seltsames Wort sei. Jorge Semprún wurde Schirmherr der Ausstellung, deren Eröffnung zu erleben ihm leider versagt blieb. Er ist ein berufener Kronzeuge dafür, dass es hier nicht darum geht, zu „relativieren und zu analogisieren“ (Volkhard Knigge, Gedenkstätte Buchenwald). Es gehe darum, die Spezifik der jeweiligen Verbrechen erkennbar und begreifbar zu machen. Die Ausstellung soll „Türen öffnen“ – dies zunächst auch in einem ganz wörtlichen Sinn. Knigge beschrieb in seiner Einführung plastisch die beengten Verhältnisse, die er bei seinen Besuchen bei MEMORIAL in Moskau vorgefunden hatte, die Schränke, in denen dort Exponate aufbewahrt sind, dafür bestimmt, endlich auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu werden.

Vom GULAG ist wenig verblieben, was sich authentisch darstellen lässt, wie Irina Scherbakova von MEMORIAL betonte. Zu den Anliegen von MEMORIAL gehörte die Zusammenstellung von Totenbüchern – um die Namen dem Vergessen zu entreißen – ebenso, wie die Erinnerung darzustellen an das, was diese Menschen – die GULAG-Häftlinge – durchlebt hatten, also Gegenstände zu zeigen, die für sie mit dem GULAG zusammenhängen - etwa ein Kleid, das eine Frau bei der Verhaftung getragen hatte, Schüsseln, Löffel, Wattejacken, Handschuhe – Dinge, von denen im GULAG das Überleben abhängen konnte. Solche Gegenstände wurden in den Familien aufbewahrt, lange ohne eine Hoffnung und den Gedanken daran, dass das je ein museales Exponat werden könnte. Die Erinnerung wurde wesentlich in Texten kolportiert, aber die Texte könnten nicht vollständig wiedergeben, was die Menschen erlebt hatten. Schon Schalamov hatte konstatiert, dass das Gedächtnis einfach nicht ausreicht.

Nicolas Werth (Institut du temps présent, Paris) betonte, der GULAG sei räumlich und zeitlich schwer einzugrenzen. Beginn und Ende lassen sich so genau nicht festlegen, und er habe das ganze Leben durchdrungen, „gulagisiert“. Solzhenizyn habe den Ausdruck des „perpetuum mobile“ geprägt, um auszudrücken, dass sich der GULAG in ständiger Bewegung befand (bestehende Lager wurden in schneller Folge eingerichtet und wieder aufgelöst oder verlegt, während wieder neue geschaffen wurden). Eine spezifische Bevölkerungsgruppe sei entstanden – ein Volk der Seki (Häftlinge). „Le peuple des zeks“ hieß denn auch die GULAG-Ausstellung, die Memorial vor einigen Jahren in Genf gezeigt hatte. Gedenkstätten gibt es nur wenige, Werth nannte die Hinrichtungsstätte in Butovo in der Nähe von Moskau, das in einem Privathaus eingerichtete Museum von Ivan Panikarov in Jagodnoe bei Magadan (vgl.http://pdf.zeit.de/2011/46/Russland-Gulag.pdf) und das Projekt eines Virtuellen GULAG-Museumsvom Wissenschaftlichen Informationszentrum MEMORIAL St.Petersburg.

Arsenij Roginskij (Vorsitzender von MEMORIAL International), hier zugleich Zeitzeuge und Historiker, vermittelt eine lebendige Bestätigung dafür, wie sehr der GULAG das Leben und den Alltag der Menschen durchdrang. Gefangenenbrigaden kamen ihm auf dem täglichen Schulweg entgegen, sie wurden zur Arbeit auf einer Baustelle geführt, auf der auch sein Vater vor seiner Verhaftung gearbeitet hatte. Bei der Hälfte seiner Mitschüler saß zumindest ein Elternteil im GULAG. „Wir können nicht sagen, wir hätten nichts gewusst. Wir wussten, was bei uns vor sich ging.“ In den 80er Jahren war Roginskij in einem Lager im Norden inhaftiert. Statt einer Baracke hatte man zweistöckige Gebäude errichtet – aber alles andere, und vor allem die Rechtlosigkeit der Gefangenen, war unverändert geblieben.
Roginskij ist kein Freund von Pathos. Er nahm mit Erleichterung zur Kenntnis, dass die Ausstellung seinem Empfinden entgegenkommt und ihren Gegenstand nüchtern, mit „anteilnehmender Lakonie“ behandelt. Was gezeigt und berichtet wird – dazu gehören auch 19 vorgestellte Häftlingsbiographien – spricht für sich.

Zur Ausstellung ist ein Katalog mit ergänzenden Materialien erschienen, u. a. mit einem sehr informativen historischen Abriss über den GULAG von Nicolas Werth.
 Die Ausstellung wird bis zum 24. Juni in Neuhardenberg gezeigt, vom 19. August bis 24. Oktober in Weimar (Schiller-Museum). Weitere Orte sind im Gespräch, darunter Berlin, Köln und München.
Informationen zur Ausstellung und Berichte finden Sie hier: www.ausstellung-gulag.orghttp://www.taz.de/Ausstellung-Sowjetische-Arbeitslager/!92510/http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/gulag-ausstellung-zwanzig-millionen-arbeitssklaven-11736275.html.

Montag, 23. April 2012

Interview mit Masha Karp: Irina Flige berichtet über eines der Projekte, für das sie die Auszeichnung von "Index on Censurship" erhielt, das „virtuelle GULAG-Museum“:[1]


Gegen Ende der Sowjetzeit bestand verbreiteter Konsens, dass eine wesentliche Umgestaltung des Landes auf die Dauer nicht möglich sei ohne eine gründliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – d. h. auch nicht ohne fundierte Kenntnis der Geschichte des Terrors und des GULAG. Dieser Konsens war jedoch nicht von Dauer. Irina Flige berichtet, dass dieses Thema schon im Laufe der 90er Jahre zunehmend an den Rand gerückt wurde. Es gab indes zahlreiche Initiativen, die auf lokaler Ebene Gedenkzeichen und Mahnmale errichteten und Museen einrichteten, ohne jegliche Förderung von Seiten der Regierung, allerdings mitunter mit Unterstützung regionaler Behörden.

Sonntag, 15. April 2012


Auszeichnung von Index on Censorship für das Wissenschaftliche Informationszentrum / MEMORIAL Petersburg (NIC)


Am 28. März fand in London die Preisverleihung statt. Nachfolgend Auszüge aus Irina Fliges Redebeitrag:

„Ich freue mich über die Möglichkeit, mich bei der Zeitschrift 'Index on Censorship' und allen unseren anwesenden Freunden für die hohe Auszeichnung zu bedanken, die dem Petersburger Archiv von MEMORIAL in diesem Jahr, einem Jubiläumsjahr für die Zeitschrift, verliehen wurde.
Ich danke Ihnen im Namen des Petersburger Wissenschaftlichen Informationszentrums „Memorial“, das dieses Archiv gegründet hat und es fortlaufend ergänzt, und dies schon seit mehr als 20 Jahren. Ich danken Ihnen im Namen aller MEMORIAL-Verbände in Russland und im Ausland, ebenso im Namen aller russischen Forscher, Publizisten, Pädagogen und Museumsmitarbeiter, die sich mit der tragischen sowjetischen Vergangenheit befassen und dabei mit Problemen und Hindernissen konfrontiert werden, wie sie ihre Kollegen in anderen Ländern nicht kennen.
Die gesamte Tätigkeit der Archive von Memorial hat zum Ziel, die Zeugnisse der Vergangenheit einem möglichst breiten Personenkreis zugänglich zu machen, damit die Geschichte des staatlichen Terrors in der Sowjetzeit – eine der bedeutendsten Tragödien des 20. Jahrhunderts – dokumentiert werden kann. Die Bevölkerung Russlands sowie der anderen Länder der ehemaligen Sowjetunion, ja die gesamte Menschheit muss die Möglichkeit haben, diese Vergangenheit zu kennen und zu begreifen.

Diesem Ziel dienen auch unsere Projekte, für die uns diese Auszeichnung verliehen wird: Die Digitalisierung von Dokumenten, die wir und zwei weitere Memorial-Verbände – Rjazan‘ und Krasnojarsk – gesammelt haben, und ihre Veröffentlichung im Internet, ebenso das Virtuelle GULAG-Museum, das unser Wissenschaftliches Zentrum entwickelt hat und durchführt.“ (…)

„Wir freuen uns besonders, von einer so achtbaren und renommierten Organisation wie Index ausgezeichnet zu werden – einer Organisation, die weltweit bekannt ist als eine, die auf allen Kontinenten für Informationsfreiheit kämpft und deren Namen wir in Russland schon zur Zeit der Dissidentenbewegung kannten. Zu ihren Initiatoren gehören Personen wie Michael Scammell und der sowjetische Dissident Pavel Litvinov, mit ihr verbinden sich Namen wie Milan Kundera, Vaclav Havel, Umberto Eco, Tom Stoppard und viele andere.

Diese Auszeichnung ist ein Indiz für den internationalen Konsens, dass authentische und vollständige Information über die Vergangenheit für die Freiheit ebenso wichtig ist wie ebensolche Information über das aktuelle gegenwärtige Geschehen. Historische Dokumente und andere Belege über die Vergangenheit geheim zu halten, den Zugang zu ihnen zu erschweren und diejenigen zu verfolgen, die versuchen, sie allgemein zugänglich zu machen (was in Russland mitunter immer noch vorkommt), ist ebenso unzulässig wie die Geheimhaltung aktueller Informationen über Menschenrechtsverletzungen, die heute stattfinden.“